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Die Ortskrankenkasse Metz, in der sich auch unsere neue Wohnung befand, war ein riesiger Häuserkomplex.  Mit einem antiken Aufzug fuhren wir in die zweite Etage des großen Gebäudes. Während Mama wie eine Herrscherin durch die Wohnung schritt, die große Balkone bewunderte und die Kisten mit unseren Papieren und Wertsachen prüfte, stellt Papa mit Erleichterung fest, dass der Vormieter, Gott sei Dank, kein Jude gewesen sein konnte. Die Weihwassergefäße an den Wänden der vielen Zimmer und eine dicke Textbibel bewiesen hinlänglich, dass vermutlich ein frankophiler Christ der deutsche Besatzerfamilie hat weichen müssen.  Lieschen und ich entdeckten in den vielen Zimmern reichlich Zeug, mit dem man gut und lange spielen konnte. Ich fand in der Küche eine elektrische Klingelanlage, die es erlaubte zu erkennen, in welchem Zimmer eine Hausangestellte zu erscheinen hatte, wenn die Herrschaften dies wünschten.
Die Volksschule lag in der Nähe unserer Wohnung und ich freute
mich sehr, nunmehr die ersehnten Schulkameraden und Spielgefährten zu finden. Das schien auch alles ganz einfach, weil alle in der Schule Deutsch sprechen mussten, was sie auch taten, wenn ein reichsdeutscher Lehrer in der Nähe war. Aber in den Ecken des Schulhofs und bei den Spielen und Prügeleien sprachen die Kinder Französisch und ließen mich, das Besatzerkind, ziemlich einsam auf dem Schulhof stehen.
Da ich in meiner Schulklasse als einziges Kind ziemlich reines Hochdeutsch sprach und den Hitlergruß fehlerlos ausführte, wurde ich von den Lehrern bevorzugt behandelt, was meinen Beliebtheitsgrad bei den Mitschülern restlos untergrub.
  Die Lothringer, die wir kennenlernten und die wir zwangsweise
in ihre deutsche Ur-Heimat zurückgeführt hatten, waren in ein oder zwei Ecken ihrer Seele noch ein bisschen deutsch. Sie sprachen auch miteinander oft lothringisch, was gar nicht so viel anders klang, als das, was die benachbarten Saarländer für Deutsch hielten.
Sie hatten sich aber an die weniger stressige Lebensart der Franzosen gewöhnt und wollten mehrheitlich nicht wieder „heim ins Reich“. 
Außerdem hatten sie neben ihrer lothringischen Küche, die ziemlich
derb und vorwiegend nahrhaft war, auch die Vorzüge und Feinheiten
der französischen Kochkunst erkannt. Dies alleine war es schon Wert, nicht nach der Speisekarte des Großdeutschen Reiches hungern zu müssen. Außerdem schien es, dass die Franzosen und damit auch
viele Lothringer nicht aßen, weil sie hungrig waren, sondern weil sie genießen wollten. Ziemlich anschaulich wird dies, wenn man eine französische „creme de petits pois“ mit einer lothringischen
Erbsensuppe vergleicht:

Die „Creme“ enthält:
schaumig geschlagene Erbsen,
mit creme fraiche leicht gebunden
mit zarten Gewürzen und frischen Kräutern abgestimmt,

mit in Butter geschwenkten Baguette-Würfeln und
Sonnenblumenkernen dekoriert, mit Ziegenkäse aromatisiert.

Diese duftige und optisch schöne „creme“ schlürft man genussvoll
und garniert mit geistreicher Unterhaltung und mit lebhafter Gestik

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