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Die deutsche Version besteht aus einem stark gebundenen breiigen Gemisch aus dicken Erbsen und massiven Brocken aus Speck und Schinken, Schwarte, Bratenresten und gewürfelter Fleischwurst. Die Erbsensuppe löffelt man schweigsam und schnell, in aufrechtem Sitz auf seinem Stuhl, die linke Hand liegt auf dem Tisch. Das Essen als notwendige Unterbrechung der Arbeitszeit dient ausschließlich einer schnellen und vollständigen Sättigung.  Beim Essen redet man auch nicht, besonders nicht mit vollem Mund!
Wenn auch die deutsche Erbsensuppe in kalten Wintern und an der
Front gut schmeckt, so fehlt dieser Zack-Zack Erbsensuppe doch das freundliche Drumherum.
Im Stockwerk über uns in der Ortskrankenkasse wohnte Familie
Paul Gangler, ein junger, reicher Eisenwarenhändler mit seiner schönen Frau und zwei kleinen Mädchen, Francoise, die etwa so alt war wie ich, und Nicole, ein frisch geborener Säugling. Als wir an der Türe der Familie Gangler klingelten, wurden wir freudig und herzlich begrüßt und in die Wohnung hereingebeten. Die schöne junge Frau küsste meinen Vater zwei- oder dreimal auf die Wange, was meine Mutter schlagartig in eine leichte Körperstarre versetzte, die sich aber sofort löste, als Monsieur Gangler Mutter Maria an den Schultern packte, sie zart an sich zog und sie ebenfalls mit einigen Küssen begrüßte. Lieschen und ich wurden von Ganglers richtig geküsst, betätschelt, gestreichelt, bewundert und bestaunt. Wir erfuhren zum ersten Mal in unserer Jugend, dass wir schöne, einzigartige und liebliche Kinder waren, was wir nach den strengen Regeln unserer Mutter nicht sein konnten und durften. Ich fand es
anfangs sehr ungezogen, dass Francoise ihren Eltern dazwischen
  quatschte und war maßlos erstaunt, dass die Eltern von Francoise dies als selbstverständlich empfanden und ihrer Tochter keine Prügel androhten. Meine vorsichtigen Versuche, diesen hohen Freiheitsgrad auch in die Familie Masson zu importieren, misslang fast vollständig. Aber wir durften von da an wenigstens am Sonntag in der himmelhohen Metzer Kathedrale uns von unseren Eltern entfernen und mit den kleinen Franzosenkindern während des Gottesdienstes in der Kirche herumlaufen.
Monsieur Gangler
verstand sich sofort sehr gut mit Vater August, den er als deutschen Hugenottensprössling anders einsortierte als die anderen Nazi-Besatzer. Als Monsieur Gangler auch noch sah, dass Vater Masson sein NSDAP Parteiabzeichen nicht offen auf, sondern unter dem Revers seiner Jacke trug, hatte Vater August Ganglers Vertrauen erworben. So sehr dies zu einer sehr echten und verlässlichen Männerfreundschaft beitrug, so sehr trug diese
politische Aussage zu einer weiteren Katastrophe meines Vaters bei.

Mit Francoise lernte ich zum ersten Mal ein weibliches Wesen kennen, welches nicht meine Schwester war und welches so anders war, dass ich es gar nicht fassen konnte. Sie trug immer ein süßes Kleidchen mit viel Drum und Dran, hatte bunte Schuhe an und ihr Blondhaar wehte in Schillerlocken um ihr zartes Gesicht. Sie schwebte plaudernd oder trällernd durch die Wohnung, machte was sie wollte und erreichte, besonders bei ihrem Vater, alles was sie wollte, weil sie ihn mit einem erstaunlichen Repertoire an weiblichen Spielereien um den Finger wickelte.
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