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Madame Gangler betrachtete die Kunststücke ihrer kleinen Tochter wohlwollend nickend und stellte fest, dass ihre Tochter die wesentlichen Spielregeln der raffinierten französischen Weiberwelt schon begriffen hatte.
Mein liebes Lieschen dagegen trug gut waschbare Sachen, selbst gestrickte Kniestümpfe und eine Haartolle, die sehr stramm
zwischen zwei kerzengeraden Haarscheiteln eingeklemmt war. Nach dem Essen sah Lieschen oft aus wie nach einer Schlammschlacht im Spielkasten. Auch Lieschen sang und trällerte gerne, aber sie sang bevorzugt Hildes schaurig schöne Balladen vom schönen Polenkind oder vom einsamen Soldaten. Obwohl ich mein Lieschen über alles in der Welt liebte, ließ ich es zu, dass Lieschen etwas an den Rand meiner kleinen Welt gedrängt wurde. Ich wollte sofort nicht mehr Bube genannt werden, sondern bestand darauf, mit seinem richtigen Vornamen, Franz, oder auf Französisch Francois, gerufen zu werden. Francoise und Francois wurden echte Spielkameraden.
Wenn wir bei Ganglers zu Besuch waren und die kleine Nicole unruhig wurde, dann öffnete Madame ihre Bluse, hob zart und vorsichtig eine ihrer Brüste ans Tageslicht und gab ihrem Säugling Milch. Nach dem Stillen wischte Madame mit ihrem Handrücken den kleinen weißen Tropfen von ihrer Brustwarze und schleckte ihn mit Zunge auf.
Franz, der seine Mutter nur an den Körperteilen erkannte, die aus den Rüschen ihrer Kleidung herausragten, war angenehm überrascht über die anderen Körperteile weiblicher Menschen, die ihm bisher unbekannt
waren.
Papa Masson bemühte sich sehr angestrengt, sein Wohlwollen für das schöne Schauspiel zu verbergen, weil sein Oberfeldwebel sehr eindringlich zu hüsteln begann.
  Nach und nach fand aber auch Mama die lockere französische Selbstverständlichkeit gut und gab ihre starre Körperhaltung ein wenig auf. Die Brüste meiner Mutter blieben aber in meiner ganzen Kindheit ein wohlgehütetes GeheimnisEine ähnlich geheimnisvolle Sache war die weiße Schüssel in unserem Badezimmer, welche mehrere Wasserhähne hatte und welche in der Mitte eine kleine Düse hatte, aus der ein kleiner Wasserstrahl in die Höhe sprang. Hilde entdeckte, dass man, wenn man sich über diesen Wasserstrahl beugte, auf sehr lustige Weise seinen Durst stillen konnte. Papa fand auch Spaß an dem Gerät und erfand allerlei Wasserspiele, bis Mama den Haupthahn entdeckte und die Wasserspiele beendete. Von da an stand das Becken nutzlos und trocken in unserem Bad herum. Auf unsere Nachfrage erklärte Mama, dass das „Ding“ der Hygiene diene, was wir für noch geheimnisvoller hielten. Auch der elektrische Gasanzünder, die Klingelanlage, die Brotschneidemaschine und die bunten Tapeten den mit riesigen Blumen und Zweigen machten aus Metz eine Kinderspielwiese.
Unser französischer Name und die Liebe meiner Eltern zum Bistro der Madame Hazard in der Obersaalstraße und zu den Lokalen mit Baguette, Fromage und Vin Rouge am St. Jakobs-Platz verschaffte uns in kurzer Zeit eine Menge einheimischer Bekannte, die uns nett fanden, weil wir uns nicht wie Besatzer aufführten, sogar ein wenig französisch sprachen und den französischen Lebensstil schätzten.
Das Bistro der Madame Hazard liebten wir Kinder ganz besonders,
weil Madame Hazard für uns immer einige Süßigkeiten in ihrer
Schürzentasche versteckte, weil sie bunte Limonaden verkaufte und
weil sie in ihrer kleinen Küche wunderbare Delikatessen zubereitete,
zu denen auch die oben erwähnte “creme de petits pois“ gehörte.

Außerdem war die Stimmung in dem Bistro immer gut, besonders wenn
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