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Die Stimmung war immer ein wenig gereizt und Marlene und ich litten
oft unter den ständigen Kommandos, aus dem Weg zu gehen
oder still zu sein oder, oder, oder.
Zudem waren wir nun von vielen lieben und erziehungswilligen Tanten umgeben. Auch die Nachbarschaft bestand fast nur aus Frauen, deren permanente Erziehungsanstrengungen meist als Kommando-Rufe laut und unverwechselbar in den Gassen zu hören waren.  Überall waren nur noch Frauen zu sehen und zu hören. Sie waren im Reich mittlerweile zu Schaffnerinnen, Busfahrerinnen, zu Handwerkerinnen und Kellnerinnen mutiert. Auf den wenigen Festen, die es zwischen den Bombenangriffen gab, spielten die Frauen die Tanzmusik, tanzten miteinander und warfen gelegentlich einen männlichen Saufbold vor die Tür. Die Bernkasteler Weiberwirtschaft und die völlige Abwesenheit männlicher Leitplanken
hat meinen Lebensweg sehr geprägt und mich in der Denk- und Gefühlswelt de
r Frauen so geschult,
dass ich später die Logik der
Frauen halbwegs verstanden habe und ihre Gefühlsregungen recht gut deuten konnte.

Ich merkte bald, dass der Lebensweg durch die männlichen Leitplanken oft sehr eingeengt war und ich vermutete, dass das richtige Leben jenseits dieser Leitplanken stattfand. Bezeichnend
für diesen erkenntnisreichen Lebensabschnitt mutierte mein Name von „Bube“ zu Franz und von Franz zu Franz August. Der Doppelname Franz August war ein fauler Kompromiss aus den Namen meines Vaters und meines Großvaters, der auch ein spendabler Pate war. Ich hatte dabei noch sehr viel Glück mit meinem Doppelnamen, denn mein lieber Vater hieß mit vollem Namen: August Theodor Maria.
  Die Bernkasteler akzeptierten den urkundlich verbrieften, umständlichen und nicht sehr schönen Namen und so blieb dieser Name an dem Kinde hängen.Gerechtigkeitshalber soll hier auch erwähnt werden, dass auch der Name „Lieschen“ schnell aus der Mode kam. Opa rief unser Lieschen einmal laut und deutlich „Marlene“. Das reichte aus, damit von dem Augenblick an sich keiner mehr traute, das kleine Mädchen „Lieschen“ zu rufen.
Hilde
hatte inzwischen das Vertrauen des alten Popp gewonnen.
Ihr ruhiges und widerspruchsloses Wesen, sowie die von Opa sehr geschätzte Art, die Türen und Fenster seines Wohnbereiches lautlos
zu schließen, erregte Anerkennung. Außerdem verstand es Hilde, die Knurrlaute des alten Herren und die kurzen Bewegungen des Kopfes oder der Hände in richtiges Deutsch zu übersetzen. Gelegentlich
klopfte Opa mit seinem Stock eine Morse-Botschaft an das Personal
im darunterliegenden Stockwerk. Hilde konnte selbst diese Zeichen entschlüsseln und brachte dem Großvater ohne weitere Rückfragen
eine Flasche Sprudel oder ein kleines Brötchen mit kaltem Braten.
Hilde blieb bei Opa Popp auch wenn die Luftschutzsirenen „Großalarm“ heulten und alle aus dem Haus und der Nachbarschaft in die Felsen-keller stürzten. Dann saß sie bei ihm in seinem 
Wohnzimmer und half dem alten, gichtgeplagten Mann und häkelte oder strickte beruhigend
an irgendetwas herum. Opa saß an seiner Schreibmaschine und tippte Gedichte oder Erzählungen oder Artikel für die Fachzeitschriften oder
die Bernkasteler Zeitung.
Über der Stadt
zogen ganz ruhig die feindlichen Bomber ins Ruhr-
gebiet oder nach Frankfurt. oder, oder……  Das tiefe Brummen
der großen Bomberverbände klang für uns nicht sehr bedrohlich, weil unsere kleine Stadt kein strategisches Ziel der bösen Feinde war.
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