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die Gäste schon sehr früh am Nachmittag ihren „Pastis“ tranken, der in den hohen Gläsern milchige Figuren malte und der die Gäste gelegentlich animierte, das schöne Lied „Anisette, Anisette“ zu singen.Die Metzer teilten uns sehr vertraulich mit, wo man in Metz-Sablon noch Pfeffer, Zimt und Muskatnüsse kaufen konnte und wie man auf ziemlich legale Art auch guten französischen Rotwein nach Deutschland verfrachten konnte. Da Lothringen jetzt deutsches Reichsgebiet war, konnte man alle Waren frei im Reich bewegen. Mein Vater kaufte, sehr zur Freude unseres Opas, sofort mehrere gute Rotweine auf und schaffte sie heim ins Reich.
Das Jahr 1943 war für uns bis dahin ein gutes Jahr und wir verstanden sehr gut, warum man in Metz leben konnte, wie Gott in Frankreich.
Dann legte das Schicksal wieder seinen Hobel an. Im Herbst 1943 setzte sich Papa beim Leiter der Ortskrankenkasse, einem eisernen Vollstrecker deutscher Siegertugenden, lauthals und vor
Zeugen dafür ein, die Metzer Bürger nicht wie besiegte Franzosen, sondern wie siegreiche Reichsdeutsche zu behandeln. Der Chef zuckte zusammen und erklärte, dass er bestimme, in welcher Tonart hier gesungen werde. Dabei berücksichtige er sehr wohl, dass man die Lothringer weder an der Ostfront noch im Westen an der Front einsetzen könne, weil sie eben doch keine echten Deutschen seien, auf die man sich verlassen könne. Leider stellte der der Chef dann auch noch die Frage, was diese Angelegenheit meinen Vater anginge, der als Reichsdeutscher nicht einmal sein Parteiabzeichen trage. Hätte Papa gesagt, dass er die falsche Jacke anhabe, wäre er vielleicht mit heiler Haut davongekommen. Er sagte aber, dass er sein Parteiabzeichen
sehr wohl trage und klappte stolz lächelnd seinen Jackenkragen um,


  Als der Streit seinen Höhepunkt hatte, rief mein Vater, dass es sicher nicht mehr lange dauern würde, bis die Lothringer wieder zu den
anderen Siegern zählen würden; dann würde sein Chef die Quittung für seinen ungehobelten Umgang mit den Metzern erhalten.
Das war die letzte Rede, die mein Vater in Metz gehalten hat.

Der Chef zog die Bescheinigung über die Unabkömmlichkeit meines Vaters sofort zurück und meldete ihn bei der deutschen Wehrmacht als „verfügbar für die Front“ an. In sehr kurzer Zeit erhielt der Soldat Masson seine Einberufung und seine Uniform. Aus der schönen Wohnung in der Obersaalstraße 10 flogen wir raus und wurden im Haus einer Familie Bertinchamp untergebracht. Das
Haus war nicht weit von unserer vorherigen Wohnung entfernt und lag gegenüber dem Kasino der
Waffen-SS.
An einem verregneten Oktobertag brachten wir Papa zum Bahnhof, wo er zwischen einer Unzahl von Gleisen in einen Waggon verladen wurde, der in Richtung Normandie fahren sollte. Er verabschiedete sich herzlich von Mama und mir und verkündete zuversichtlich, dass er bald zurückkäme, weil der Krieg nicht mehr
lange dauern würde. Lässig schob er sich eine Zigarette in den Mund
und bat einen in der Nähe stehenden Kameraden freundlich um Feuer. Dabei übersah er, dass dieser Soldat sehr viel Lametta auf den Schultern trug und eigentlich gar kein Kamerad, sondern ein ranghoher Offizier war. Der Herr Offizier ließ meinen Vater erst einmal strammstehen und brüllte ihm dann die Heeresgrußordnung vor. Mein Vater entschuldigte sich sehr höflich aber nicht sehr soldatisch, weil er immer noch dem Herrn Offizier seine Zigarette entgegenhielt.
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