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die bunten Pötte, in denen der stark duftende, schmierige Kautabak von „Grimm und Triepel“ lagerte. Für wenige Pfennige konnte man bei Onkel Jäb Sicherheitszündhölzer oder sogar „Bengalische Zündhölzer“ kaufen, die mich magisch anzogen und von deren Faszination ich mich erst viele Jahre später lösen konnte.Natürlich verkaufte Jäb auch Spucknäpfe in mehreren Ausführungen. Spuknäpfe gab es nicht nur für die Kautabak-Liebhaber. Spuknäpfe gehörten zum nationalen Geist der Zeit und wurden aus hygienischen Gründen in Wohnungen, Schulen, Bahnhöfen, Zahnarztpraxen, also fast überall aufgestellt. Wo kein Spucknapf stand, da war ein Schild angebracht, auf dem zu lesen war: “Bitte nicht auf den Boden spucken.“  Ein fantasievoller Leser darf sich an dieser Stelle selbst ausmalen, welche wunderbare Bosheiten man mit einem gut gefüllten Spucknapf anstellen konnte. Obwohl der Spucknapf aus Amerika zu uns gekommen war, wurde er von den Nazis als förderlich für die Volksgesundheit anerkannt und in Behörden und Parteizentralen aufgestellt.
Jäb hatte auch einen Volksempfänger, der in seinem Herrenzimmer stand und daher für allgemeine Besucher unsichtbar war und der von ihm ganz alleine und nur zu ganz bestimmten Zeiten abgehört wurde. Jäb war ein Fatalist, der selbst nach dem siegreichen Blitzkrieg noch nicht an den deutschen Endsieg glauben wollte. Er war erstaunlich gut informiert über die deutschen Verluste an den vielen Fronten und behauptete, dass diese Verluste tatsächlich existierten, obwohl in den täglichen und oft stündlichen Siegesmeldungen der deutschen Wehrmacht kein einziges Wort davon zu hören war. Mein Vater begann, sich nun auch für seinen Volksempfänger zu interessieren, konnte aber trotz vieler Bemühungen keinen der Sender erreichen, von denen Jäb sein lebensgefährliches Wissen bezog. Er berichtete Jäb, den er inzwischen duzte, von seinen Misserfolgen und dieser schenkte meinem Vater dann mit ganz verstohlener Geste ein kleines „Ding“, welches er Kondensator nannte.
  Der kleine Bube war bei diesem Gespräch dabei, und merkte aufmerksam, dass sich hier etwas Geheimnisvolles vollzog. Da mein Vater dafür bekannt war, dass er zwei linke Hände hatte, was seine liebende Ehefrau bei Gelegenheit gerne bestätigte, bot Onkel Jäb an, uns am späteren Abend zu besuchen, um den Kondensator einzubauen. Onkel Jäb kam dann zu uns, öffnete ganz vorsichtig unseren Volksempfänger und lötete den Kondensator ein.Als mein Vater das Radio wieder einschaltete, tat er dies mit voller Lautstärke. Im selben Moment, als er deutlich und klar das Pausenzeichen des Feindsenders BBC hörte, erstarrte er zur Salzsäure. Onkel Jäb riss blitzschnell den Stecker aus der Dose und hielt dann meinem Vater eine lange und eingehende Predigt über das Anhören von Feindsendern und die zu diesem Thema in letzter Zeit ergangenen Todesurteile. Der Radau,
den mein Vater mit den Paukenschlägen des Feindsenders erzeugt hatte, erschien Onkel Jäb
nicht allzu schlimm, da wir alleine in unserem Haus wohnten, weil die Fenster geschlossen waren und weil er niemanden auf der Straße sehen konnte.
Mein Vater atmete wieder auf, aber nur kurz, denn Jäb zeigte mit
seiner Hand in meine Richtung und fragte meinen Vater: “Was machen wir jetzt mit dem da?“Ich war ein altkluges und aufmerksames Kerlchen, das mangels sauberer und standesgemäßer Nachbarskinder nahezu keine Spielgefährten hatte. Ich war ständig nur mit Erwachsenen zusammen, verstand deshalb deren Sprache und Gestik sehr gut und bemühte mich immer, selber den Wortschatz der Erwachsenen mit
einer gewissen Wichtigkeit zu gebrauchen. Diese Fähigkeit mit dem Wissen um Kondensatoren und Feindsender wurde jetzt zu einer gefährlichen Sprengladung mit einem brennenden Zünder.
Schlagartig übernahm meine Mutter das Kontrollrecht über die Konversation im engsten Familien- und Freundeskreis.
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