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Bisher wurden sehr lustige Sachen frei erzählt, obwohl es verboten war, so etwas zu tun. Der größte aller Feldherren,  „ Gröfatz  Adolf Hitler“, wurde ab sofort bei seinem richtigen Namen genannt:
Hermann Göring, der Liebling des Volkes, wurde nicht mehr in Zusammenhang mit fetten Heringen gebracht und das schöne Lied „Ich möchte einmal fröhlich sein, nur eine Stunde fröhlich sein“ verschwand aus Vaters Lieder-Repertoire, nur weil der Schauspieler Gustav Fröhlich in einem Anfall von Eifersucht auf die gemeinsame Geliebte dem Herrn Göbbels eine saftige Ohrfeige verpasst hatte. Lieschen und ich kannten zwar die amüsanten Hintergründe dieser Geschichten nicht, grölten aber trotzdem gerne und laut diese sehr gefährlichen Texte.  Nur Hilde durfte ihre traurigen Lieder weiter singen. Sie hatte ihren Liederschatz um ein schauriges Lied mit 12 Strophen erweitert. In diesem Lied steht ein einsamer Pionier im Argonnerwald, um sein geliebtes Vaterland zu schützen. Der liebe Gott behütet ihn dabei. Diese Heldenballade hatte sie von Onkel Peter, Tante Hedwigs gehorsamem Ehemann, gelernt, der als Unteroffizier bei einem Pionierregiment einmal bei uns in Urlaub von der Ostfront war und der das Soldatenlied, wenn er ein paar Gläser Wein getrunken hatte, mit Tränen in den Augen schluchzte. Nachdem innerhalb der Familie eine gewisse ideologische Flurbereinigung stattgefunden hatte, nahm Mutter Maria das öffentliche Erscheinungsbild der Familie unter die Lupe. Vater, Mutter, Hilde und die Kinder erschienen ab nun gelegentlich bei Paraden und Parteikundgebungen und sangen die gewünschten Lieder der Nazis mit. Mir gefielen diese Lieder nicht schlecht, weil sie von Blaskapellen mit viel Lautstärke und Trommelmusik begleitet wurde.Ganz große Auftritte hatten wir bei Sammelaktionen des Winterhilfswerkes, bei denen wir Geldstücke in die Sammelbüchsenwerfen durften. Unsere silbernen Speise-Schieber durften Lieschen und ich einer gütig lächelnden Parteigenossin überreichen.
  Mama opferte ihren schwarzen Persianer-Muff für die frierenden Soldaten. Papa grinste  zu diesem Opfergang seiner Frau, erntete
aber böse Blicke, als er behauptete, dass dieser Muff, Gott sei Dank, wahrscheinlich eher bei der Geliebten eines Nazibonzen landen würde, wo er weniger Schaden anrichten konnte als an der Front, wo er beim Laden des Gewehrs recht hinderlich sein könnte.

Papa ging während unseres lebenserhaltenden Erneuerungspro-
zesses geduldig, aber lebensfroh an der kurzen Leine seiner Frau,
welcher  er von da an mit dem Satz: “Jawohl, Herr Oberfeldwebel“
antwortete. Er verstand ihre versteckten Kommandos und Hinweise bestens und hielt sofort den Mund, wenn Mutter leise hüstelte oder in kritischen Momenten kurz mit ihrer Schuhsole heftig auf den Fußboden auftrat. Papas vertrauensselige und ehrliche Art, mit Menschen umzu-gehen, war ziemlich ungefährlich, solange seine geliebte Maria in der Nähe war. Und dafür sorgte Mama immer und überall, wo sie es durch-setzen konnte. Es gab nur eine einzige Lücke in ihrem Sicherheits-gefüge, und das war Papas Arbeitsplatz in der Ortskrankenkasse. Hier nahm dann auch folgerichtig das Unheil seinen Anfang, welches sich in einer Kaskade von kleinen und großen Unglücken über das Leben der ganzen Familie ergoss. Auf einer kleinen Geburtstagsfeier im Juli 1942 saß Papa bei einer hübschen, jungen Angestellten der Ortskranken-
kasse und schilderte ihr seine Meinung über den von Führer angezettelten Russlandfeldzug mit den verlustreichen Siegen. Seine detaillierten Ausführungen stützte er auf die fundamentalen Kenntnisse der Nachrichten des Feindsenders BBC. Da die junge Angestellte
nach einer Weile gelangweilt war, verlegte sich mein Vater auf die
Kunst des Flirtens und flötete dem Fräulein nette Dinge ins Ohr.
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